Hammer Thomas

Alpkorporationen - traditionelle Institutionen nachhaltiger Landschaftsentwicklung? Das Beispiel der Bergschaften Grindelwalds im Kontext aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen

Project Number: CH-4697
Project Type: Dissertation
Project Duration: 11/01/2010 - 05/31/2012 project completed
Funding Source: other ,
Leading Institution: Universität Bern
Project Leader: Prof. Thomas Hammer
Centre for Development and Environment (CDE)
Universität Bern
Uni Mittelstrasse
Mittelstrasse 43
3012 Bern
Phone: +41 (0) 31 631 39 55 ; +41 (0) 31 631 88 22
e-Mail: thomas.hammer(at)cde.unibe.ch
http://www.cde.unibe.ch/

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Research Areas:
Living Space

Disciplines:
Social geography and Ecology

Keywords:
Sozialanthropologie, Allgemeine Ökologie

Abstract:
Die vorliegende Dissertation ist eine Folgearbeit der Arbeiten aus dem Nationalen Forschungsprogramm 48 „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ (Kooperation im Landschaftsmanagement). In dieser Dissertation werden anhand der theoretischen Konzepte von Pierre Bourdieu (Habitus, Feld und Kapitalien) und qualitativer Sozialforschung (Grounded Theory, Teilnehmende Beobachtung und Fotografie) die gemeinschaftlichen Arbeiten – das Tagwannen – in der Landschaft und die damit verbundenen, nicht unmittelbar sichtbaren Kapitalien am Beispiel der Grindelwalder Bergschaften Bussalp, Holzmatten und Wärgistal herausgearbeitet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden im Rahmen der heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen (Agrarpolitik, Landschaftsqualität und Tourismus) diskutiert.
Im Alpenraum leisten Korporationen wie Bergschaften durch ihre Verbundenheit und Bewirtschaftungsweise ihrer Bergland- und Alpwirtschaft einen wichtigen Beitrag an das Grundkapital Landschaft. Mit ihrer angepassten Nutzungsweise (Alpregelung) stellen sie der Gesellschaft wichtige Ausgleichs-, Freizeit- und Erholungsräume zur Verfügung. In ihren Alpregelungen (Alpsatzungen Alpbriefen z.B. in Grindelwald der Taleinungsbrief aus dem Mittelalter) standen schon damals eine angepasste Nutzung für ein längerfristig stabiles Ökosystem im Vordergrund.
Grindelwalder Bergschaften sind das Gefüge einer mittelalterlichen Rechtstradition (Urkunde 1404 und Taleinungbrief 1538). Nicht der Besitztum allein, sondern die Gemeinschaft im gemeinsamen Handeln und Entscheiden ist das Besondere. Die Aufrechterhaltung der alten Ordnung, der Taleinung (Taleinung ist eine Alpgenossenschaft und umfasst die sieben Alpen der Talschaft Grindelwald, ihre Rechtsgrundlage ist der Taleinungsbrief), ist die oberste Pflicht des Einzelnen, bis zur Selbstaufgabe der eigenen Interessen. Begründet werden die Bergschaften mit dem Zweck, eine geordnete und nachhaltige Bewirtschaftung der sieben Alpen der Talschaft Grindelwald zu verfolgen, d.h. eine an die Landschaft angemessene Bewirtschaftung zu führen und dabei die festgelegten ‚gseyeten‘ Besatzungsgrössen zu respektieren. Sie drücken ein exaktes Wissen über ökologische Zusammenhänge aus, was als Erfahrungswissen seit Generationen weitergegeben wird.
Flächenmässig gehören Scheidegg, Grindel und Wärgistal zu den grössten drei Bergschaftsgebieten, gefolgt von Itramen, Bach und Bussalp. Holzmatten hat das kleinste Bergschaftsgebiet. Ihr oberstes Entscheidungsorgan ist die Taleinungskommission. Die Verantwortung für die Organisation der Alpbetriebe und die Durchführung der Alparbeiten tragen Besetzer- und Hagpfander. Grindelwalder Bergschaften sind in der Hauptsache gekennzeichnet
  • durch den gemeinsamen Besitz mit einem gemeinsamen Zweck (Gemeinschaftsalp),
  • durch die Verbundenheit des Besitzes von privatem Talboden mit der gemeinschaftlich gepflegten und genutzten Alp (Bergrechtsregelung) und
  • durch ein mittelalterlich gelebtes Rechtsgefüge in einer modernen Zeit (Taleinungsbrief) Die Bergschaften (Alpkorporationen) Grindelwalds – auf der Schattseite des Tales (Nordhang) sind dies Wärgistal und Itramen, sonnseitig (Südhang) sind es Bussalp, Bach, Holzmatten, Grindel und Scheidegg – leisten durch ihre Verbundenheit mit der Bergland- und Alpwirtschaft einen wichtigen Beitrag an das öffentliche Gut „Landschaft“ im Alpenraum. In der Gemeinde Grindelwald nehmen die Bergschaften als grösste Land- und Waldbesitzer eine zentrale Stellung sowohl für die touristische als auch für die landwirtschaftliche Entwicklung in der Gemeinde beziehungsweise der Region ein. Auf ihrem Terrain spielt sich heute der Sommer- und Wintertourismus hauptsächlich ab. Ihre Nutzungs-, Unterhalts- und Pflegearbeiten tragen zur Erhaltung der ökologischen Stabilität einer intakten und vielfältigen Kulturlandschaft und eines attraktiven Erholungsraumes zugunsten unserer Gesellschaft bei. Bergschaftsmitglieder leben und handeln innerhalb der Bergschaft in unterschiedlich spezifischen Feldern. In all diesen wird der Kollektiventscheid vor das individuelle Interesse gestellt. Dieses übergeordnete Rechtsgefüge, der Taleinungsbrief, ist ein kulturelles Gut. Dieses Gut ist zwar materiell übertragbar, aber nicht die damit verbundene, gezielte Umsetzung, weder das langjährige lokal verankerte Erfahrungswissen noch die damit verbundene Geschichte. Tagwann bietet Ort der Identifikation mit einer alten, vertrauten und tief verwurzelten Umgebung, wo seit Generationen eine wiederkehrende Gewohnheit, die durch die Art und Weise der Bewirtschaftung der Alpen notwendig ist, gepflegt wird. Innerhalb dieser gemeinschaftlichen Arbeit erhalten Bergschaftsmitglieder durch ihre sozialen Positionen und ihren unterschiedlichen Verfügungsmöglichkeiten über die verschiedenen Arten von Ressourcen (kulturelle, soziale, symbolische, ökonomische Kapitalien) vielseitige Funktionen. Ökonomisches Kapital garantiert innerhalb der Gemeinschaft keine Machtstellung. Von grosser Wichtigkeit innerhalb der Gemeinschaften sind jedoch die Verfügbarkeit von kulturellem und sozialem Kapital. Sie haben mit ihren Wirkungsbereichen und ihrem gezielten Einsatz in der Nutzung, für die Pflege und Erhaltung der Landschaft eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung. Sie leisten im sozialen, im kulturellen und im ökologischen Bereich einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung, zum Weiterleben und zur –entwicklung von Traditionen, Ritualen und tragen insgesamt zu einer Landschaftsqualität und damit zu einer lokalen und regionalen Identität bei.
    Bergschaften mit ihren kulturellen, sozialen und ökologischen Ressourcen leisten nicht nur wichtige Beiträge an die lokale und regionale Kultur, ebenso leisten sie einen wesentlichen Beitrag an die lokale und regionale Wirtschaft. Sie pflegen zusätzlich zum kulturellen und sozialen Kapital auch das ökonomische Kapital „Landschaft“. Durch ihre alljährlich wiederkehrenden Tagwannarbeiten grenzen sie Verbuschung, Verwaldung und Murgänge ein, sichern Zufahrtswege und Wasserläufe, pflegen marginale Nutzflächen und tragen so entscheidend zur Aufrechterhaltung einer attraktiven und ästhetisch wertvollen Landschaft bei. Tourismus, lokale und regionale Bevölkerung, wie auch das Gewerbe profitieren davon. Mit ihren landschaftsbezogenen Arbeiten stellen die Bergschaften auch Grundlagen für weitere Wirtschaftsformen (in Grindelwald der Tourismus) zur Verfügung und sind zudem Träger eines starken Regionenbezugs. Die Erhaltung und Stärkung der Berglandwirtschaft sowie der traditionellen Alpkorporationen – der Bergschaften – ist daher für die Landschaft Grindelwalds, die Landschaft der Region Berner Oberland-Ost und möglicherweise auch für weitere Alpengebiete von grosser Bedeutung. Für die Gemeinde Grindelwald ist diese traditionelle Einrichtung – die Taleinung – von unschätzbarem Wert, nämlich ein kulturelles und ökonomisches Gut mit aktuellem Gültigkeitswert. In einer Zeit, in der die Menschen die Landschaft erschliessen und nutzen, um den entwickelten gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und gleichzeitig ungestörte, erholsame Landschaften, in denen sie ihre Bedürfnisse nach ästhetisch-emotionaler Ortsbezogenheit ausleben können, aufsuchen, erhalten Alpkorporationen eine wichtige Bedeutung für eine längerfristig gesicherte Kulturlandschaft. Angesichts der Bedeutung, die Alpkorporationen auf lokaler und regionaler Ebene für die Kulturlandschaft haben, sollten diese in Wissenschaft und Praxis stärker berücksichtigt und unterstützt werden.

    Publications:
    Tiefenbach, Marianne.2012. Alpkorporationen - traditionelle Institutionen nachhaltiger Landschaftsentwicklung. Das Beispiel Bergschaften Grindelwalds im Kontext aktueller, gesellschaftlicher Herausforderungen. Dissertation, Universität Zürich.
    pdf Abschlussarbeit


    Last update: 8/11/22
    Source of data: ProClim- Research InfoSystem (1993-2024)
    Update the data of project: CH-4697

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