Liechti Karina

Alpwirtschaft im Agrarstrukturwandel - Eine Untersuchung der Resilienz unterschiedlicher Alpnutzungssysteme im Berner Oberland

Project Number: CH-5816
Project Type: Master
Project Duration: 01/01/2016 - ? project completed
Funding Source: other ,
Leading Institution: Centre for Develeopment and Environemnt, Univeristy of Bern
Project Leader: Dr. Karina Liechti
Uni Mittelstrasse

Phone: +41 (0)31 631 88 22
e-Mail: karina.liechti(at)unibe.ch
http://www.cde.unibe.ch/

related to this project.
for which the project has a relevance.

Disciplines:
Social geography and Ecology


Abstract:
Die Berglandwirtschaft verändert sich im Laufe des Agrarstrukturwandels, was sich unter anderem im Rückgang der Landwirtschaftsbetriebe in den Bergzonen II bis IV im Kanton Bern zeigt: Im Jahr 2012 bestanden nur noch 59 Prozent aller Betriebe von 1980 weiter (BFS 2015 a). Als Auswirkungen dieses Wandels haben durch die Abhängigkeit der Alpbetriebe von den Berglandwirtschaftsbetrieben die Bestände der gesömmerten Tiere abgenommen und Sömmerungsweiden wurden aufgegeben, was hinsichtlich des gemäss Bundesverfassung geforderten Beitrags zur „Pflege der Kulturlandschaft“ durch die Schweizer Landwirtschaft bedenklich ist (Werthemann und Imboden 1982: 70, Flury et al. 2014: 4, Schweizerische Eidgenossenschaft 1999: 30). Auf Grund der vielfach komplizierten Eigentums- und Bewirtschaftungsverhältnisse der Alpen und den Herausforderungen auf den Herkunftsbetrieben des Sömmerungsviehs, stellt sich zunehmend die Frage, wie Alpnutzungssysteme in Zukunft weiter bestehen können (vgl. Tiefenbach et al. 2006: 54).
Daher ist das Ziel dieser Masterarbeit ein Vergleich der Resilienz von Alpnutzungssystemen mit unterschiedlichen Eigentümern (Privatpersonen, öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Körperschaften). Mit der Resilienz soll die Fähigkeit eines sozioökologischen Systems beschrieben werden, mit Herausforderungen und Störungen in den Dimensionen „Pufferkapazität“, „Selbstorganisations-Kapazität“ und „Anpassungsfähigkeit“ umgehen zu können und weiter zu funktionieren (Schoon 2005: 2, Folke 2006: 259-260). Als Untersuchungsraum wurden die acht Berner Gemeinden des UNESCO-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch (WHSSAJA) ausgewählt: Grindelwald, Interlaken, Reichenbach i. K., Kandersteg, Guttannen, Innertkirchen, Meiringen und Schattenhalb. Die Masterarbeit soll Aufschluss darüber geben, wie Alpnutzungssysteme verschiedener Eigentums- und Bewirtschaftungsformen mit herausfordernden Veränderungen umgehen und sich weiterentwickeln. Darauf abstützend soll abgeschätzt werden, inwiefern sich die Systeme hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen als resilient bezeichnen lassen. Die untersuchte Zeitspanne beträgt auf Grund der Datenlage rund 45 Jahre, ausgehend von der Situation um 1967/73.
Um das Hauptziel zu erreichen, wurden vier Blöcke mit Unterfragen erstellt. Mittels statistischen Auswertungen wurde (A) ein Überblick über die strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft erstellt, der in Interviews von lokalen Experten kommentiert wurde. Der zweite Teil (B) beinhaltete die Auswertung quantitativer und qualitativer Daten zur Entwicklung der Anzahl Alpen, deren Eigentumsformen und den bestossenen Flächen. Ein weiterer Schritt war die Erarbeitung eines Sets von neun Indikatoren zur Bestimmung der Resilienz von Alpnutzungssystemen (Teil C). In den nachfolgenden Interviews wurden die Experten gebeten, indikatorspezifische Fragen zur Alpwirtschaft und deren Veränderung zu beantworten, die anschliessend ausgewertet wurden (D). Abschliessend wurden die Ergebnisse für jeden Indikator separat festgehalten, wie ein Vergleich der einzelnen Alpnutzungssystemarten erstellt (E).

Resultate
Bei den strukturellen Veränderungen zeigt sich in den Untersuchungsgemeinden das für die Schweiz typische Bild des Rückgangs der Anzahl Landwirtschaftsbetriebe bei gleichzeitiger Mechanisierung, sowie der Vergrösserung der durchschnittlichen Betriebsfläche und der Anzahl Tiere pro Betrieb. Gemäss den Befragten sind Intensivierungs- und Extensivierungstendenzen in der Flächennutzung vermehrt spürbar. Die Notwendigkeit einer Sömmerung wird daher dort infrage gestellt, wo schlecht erschlossene und schwierig zu bewirtschaftende Heimbetriebsflächen heute als Weide genutzt werden, anstatt sie zu mähen. Die Bedeutung der Sömmerung nimmt auch bei jenen Landwirten ab, bei welchen sie nicht mehr mit der strukturellen Entwicklung der Heimbetriebe kompatibel ist. Folglich sind genügend Sömme-rungsplätze vorhanden und zur Sicherung der Bestossung nimmt die Besetzung der Alpen durch externe, nicht der Alpbesitzergruppe angehörende, Nutzer zu.
Die Veränderungen gehen einher mit der Abnahme der Macht der Landwirte als Gruppe in der Gemeinde. Die Beziehungen der Landwirte untereinander werden gemäss den Befragten durch wachsenden Konkurrenzdruck um Land und die Abnahme des genossenschaftlichen Gedankens zusätzlich geschwächt.
Die totale Anzahl Alpen im Untersuchungsgebiet blieb sich mit 219 im Jahr 2015 von ehemals 226 ungefähr gleich. Allerdings sind heute deutlich mehr Alpen in Privateigentum, während nur noch rund 21 Prozent aller Alpen im Besitz von Körperschaften sind. 32 Alpen gelten heute als unbestossen, 27 als neu, entstanden durch die Bestossung ehemaliger Vorsassen oder Heuberge. Der Weiterbestand von Alpen gleichen Perimeters mit anderer Rechtsform war verhältnismässig selten. Eher kam es zu Zusammenschlüssen/Trennungen von Alpteilen bei gleichzeitigem Wandel hin zu Privateigentum. Die Veränderungen der Rechtsformen wurden von den Befragten aber selten bestätigt, sondern eher als Bewirtschafterwechsel interpretiert.
In den Interviews hat sich gezeigt, dass sich die Alpwirtschaft in gewissen Bereichen laufend verändert hat (Flächennutzung, Veränderung des Zugangs zu Sömmerungsplätzen, Zentralisierungen, veränderte Bedeutung der Ressource), in anderen aber eher beständig bleibt (z.B. personell lange gleichbleibende Alporganisationen). Diese Veränderungen lassen sich hinsichtlich der Resilienz der Alpnutzungssysteme als die Resilienz stärkend oder die Resilienz schwächend interpretieren.
Im Bereich der Pufferkapazität ist bei Privatalpen ein Vorteil, dass sie länger von den gleichen, erfahrenen Bewirtschaftern genutzt werden als Körperschaftsalpen, auf welchen Wechsel der Angestellten häufig sind. Allerdings können bei Privatalpen wetterabhängige Arbeitsspitzen die Koordination von Heim- und Alpbetrieb erschweren und die Wirtschaftlichkeit ist eine grosse Herausforderung. Bei Körperschaftsalpen steht zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit eine ausreichende Bestossung im Vordergrund und mindert die Resilienz in anderen Bereichen. So sind Körperschaftsalpen beispielsweise bei der „Anzahl überschüssiger Bestandteile“ schwach, weil Personal knapp und kurzfristiger Ersatz kaum möglich ist. Zudem wird das Alpwerk trotz vorhandenem Wissen im Umgang mit dem lokalen natürlichen Kapital (Indikator Pufferkapazität) nicht ausreichend verrichtet, was sich negativ auf die Qualität der Flächen auswirkt.
In der Selbstorganisation scheinen Privatalpen resilienter, weil der Eigentümer mehr Entscheidungsfreiheiten hat und heute im Vergleich zu früher weniger abhängig von lokalen Helfern ist. Allerdings kann die alleinige Verantwortung zur Belastung werden, was sich beispielsweise in einer abnehmenden Pflege und einem Wertverlust der Flächen zeigt. Körperschaftsalpen sind im Bereich der Selbstorganisation schwach und bekommen insbesondere die geschrumpfte Anzahl Nutzungsberechtigter die von ihren Rechten Gebrauch machen, Tiere sömmern und sich für die Ressource einsetzen, und die zunehmende Individualität der Landwirte zu spüren. Dies wirkt sich auf unterschiedliche Weise negativ aus: Gewisse Alpteile (vor allem unwegsamere, mit Jung- und Schmalvieh genutzte Flächen) werden zu knapp bestossen, Alpvorstände überaltern, und verantwortungstragende Einzelpersonen sind mit ihren Aufgaben überfordert oder werden träge.
Das Hauptproblem besteht darin, dass durch die Verpachtung von Sömmerungsplätzen an externe Nutzer eine Erweiterung des Beteiligtennetzwerks erfolgt, die externen Bestösser aber aus Angst vor dem Attraktivitätsverlust der Alp nicht in einer für die Alpleitung entlastenden Weise in die Alporganisation eingebunden werden. Weil die zahlreicher werdenden externen Nutzer im Rahmen der Körperschaft kein Mitspracherecht besitzen und Alpeigentümer ohne Vieh sich kaum an der Organisation beteiligen, verbleibt die Verantwortung bei den wenigen Alpeigentümern, die die Alp nutzen. Insbesondere bei privatrechtlichen Körperschaften entspricht die Gruppe der entscheidungstragenden Eigentümer je länger je mehr nicht mehr der Nutzergruppe, was den „gemeinschaftlichen Besitz“ infrage stellt.
Das Personalproblem, wie auch unzureichende Weidesäuberungen und der die Verbuschung beschleunigende Klimawandel wurden bei Körperschaftsalpen als Probleme erkannt. In Bezug auf die Anpassungsfähigkeit erscheint aber bedenklich, dass einige Themen schon vor 45 Jahren als Herausforderungen genannt wurden und nach wie vor bestehen oder sich als Folge von Anpassungen in anderen Bereichen gar noch verstärkt haben. Hinzu kommt trotz schrumpfender Anzahl Beteiligter ein fehlender Aufbau von Humankapital zur zukünfti-gen Bewirtschaftung und Organisation der Alpen: Die Beziehungen zu externen Nutzern sind schwach, gegenüber neuen Mitarbeitenden sind die lokalen Beteiligten eher skeptisch und die stressige Arbeitssituation kann eine klare Auseinandersetzung mit Ideen und Kritik beeinträchtigen. Bei Privatalpen kann die Anpassungsfähigkeit besonders durch Generationenkonflikte gemindert werden und die Selbstverpflichtung zum Wissensaufbau liegt beim Alpeigentümer, bzw. –Bewirtschafter, alleine. Im Vergleich mit Körperschaftsalpen ist hier aber ein Vorteil, dass langjährige Bewirtschafter von Saisonvergleichen lernen können.

Schlussfolgerungen und Ausblick
Abschliessend betrachtet entspricht der Besitz oder die Pacht einer Privatalp eher dem heutigen Zeitgeist. Im Gegensatz dazu steht die gemeinschaftliche Nutzung von grossen Sömmerungsflächen durch Körperschaften vor Herausforderungen, die durch einen weiteren Rückgang der verantwortungstragenden Berglandwirtschaftsbetriebe sozial immer schwieriger zu bewältigen werden, was sich letztlich in einer Abnahme der Produktivität der Ressource zeigt. Diese Erkenntnisse sind nicht neu, sondern bestätigen ein bereits existierendes Bild vom Zustand der Alpwirtschaft auf eine etwas andere Weise: Probleme in der Pufferkapazität (z.B. Anlernen von Angestellten, Sicherung der Bestossung, wenig Zeit für Beteiligung an der Bewirtschaftung) werden prioritär behandelt und die Belastung hat zur Folge, dass Diskussionen über eine mögliche zukünftige Systemorganisation kaum Raum haben und somit die langfristige Resilienz bedrohen.
Weitere Forschungen sollten sich also darauf konzentrieren, mit welchen Massnahmen die Alpverantwortlichen entlastet und die Selbstorganisation gestärkt werden können. Dabei sollte eine weitere personelle Rationalisierung vermieden und dem Humankapital ein grösserer Wert beigemessen werden. Auch ist zu prüfen, wozu Unterstützungsbeiträge eingesetzt werden. Diese sollten die Verantwortungstragenden in ihrer Arbeit entlasten und beispielsweise der Pflege der Ressource dienen, und nicht zur Steigerung der Attraktivität der Alp indirekt den externen Nutzern zugutekommen und sie von ihren Pflichten befreien.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt auf, dass der landwirtschaftliche Strukturwan-del viele Veränderungen in der Alpwirtschaft zur Folge hat und eine resiliente körperschaftliche Sömmerung für verantwortungstragende lokale Alpnutzer zu einer grossen Herausforderung macht. Für die Zukunft der Alpwirtschaft bleibt zu hoffen, dass im Berggebiet genügend motivierte Landwirte verbleiben, die mit einem persönlichen Aufwand die Bewirtschaftung der Alpen optimieren und Lösungen erarbeiten können, die die langfristige Resilienz der Alpnutzungssysteme erhöhen.

Publications:
Trachsel, V. 2018. Alpwirtschaft im Agrarstrukturwandel - Eine Untersuchung der Residenz unterschiedlicher Alpnutzungssysteme im Berner Oberland. Masterarbeit, Centre for Development and Environment CDE, Universität Bern.
pdf Masterarbeit


Last update: 8/11/22
Source of data: ProClim- Research InfoSystem (1993-2024)
Update the data of project: CH-5816

Go Back